Wie alles begann

Von den Anfängen der Freien Waldorfschule Itzehoe
Ein Lehrer erinnert sich

Das erste Mal, dass ich das Gelände unserer Schule betreten habe, war im Oktober 1986. Es ist wahrlich mit dem heutigen nicht mehr zu vergleichen. Das einzige Gebäude, das damals stand, war der Kählerhof in seiner ursprünglichen Form. Sonst war alles Brachland. Der Hof war nicht mehr bewohnt, kein Mensch, kein Tier war mehr hier zu Hause. Halt, doch! Ein Trecker pflügte gerade das Brachland um. Er gehörte einem zukünftigen Elternvater aus Lohbarbek, der hier schon seine Freizeit, wie bald darauf viele Eltern, verbrachte.

Dass es zu diesem Schulgelände kommen konnte, verdanken wir vor allem der Initiative des Ehepaars Margot und Nico Hansen aus Münsterdorf, die bereits im Mai 1979 einen „Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik“ gründeten, aus dem heraus die Schule entstehen sollte. Viele Vorträge, Eurythmieaufführungen, Veranstaltungen und Verhandlungen waren dazu notwendig, denn im Stadtrat gab es erhebliche Widerstände, die überwunden werden mussten. Dort witterte man große Konkurrenz für die staatlichen Schulen, und man hatte die Befürchtung, dass eine Waldorfschule der Stadt viel Geld kosten würde. 1981 kam es dann zur Gründung des Kindergartens als Vorläufer der Schule.

Jetzt aber im Jahre 1986 war das Feld endlich bereitet. Der Bund der Freien Waldorfschulen musste die Schule nur noch genehmigen, und die Lehrer gefunden werden. Herr Wilske aus Kiel war beinahe wöchentlich in Itzehoe, und ich stand noch in Bochum bis zum Sommer „unter Vertrag“. Nach der Genehmigung der Schule auf der Delegiertentagung in Berlin im Januar ’87 war auch bald Frau Brauer (ehemals Tekaat) für die erste Klasse gefunden, und frisch vom Lehrerseminar bekamen wir Frau Ruthel für die zweite Klasse empfohlen. Als Handarbeitslehrerin gewannen wir eine Mutter aus Brunsbüttel, Frau Böhm, und Herr Nussbaum wogte fortan mit wehendem Mantel als Eurythmist über das Gelände.

Aber vom Schulbau war noch nichts zu sehen. Die Baugenehmigung zur Aufstellung der aus Brokdorf erworbenen Pavillons ließ bis zum 2.7.87 auf sich warten. Der angepeilte 3. August als Schuleröffnung rückte immer näher. Zum Anfang der Sommerferien endlich begannen wir damit, die Fundamente in den aufgefüllten Sand zu graben. Wir, d. h. eine starke Elternschaftstruppe unter fachkundiger Anleitung durch ABM-Kräfte und einzelne Lehrer, machten „Ferien auf dem Bauernhof“.

So konnte man sich kennen lernen und für die dazwischen herum wuselnden zukünftigen Schüler ein neues Schul-Zuhause schaffen. Für manchen mag es wie das große Chaos ausgesehen haben, aber jeder versuchte sich nach seinen besten Kräften einzubringen. Richtfest für den Pavillon war am 17. Juli, und mit 10-tägiger Verspätung schafften wir es doch noch, das große Wunder zu vollbringen: Am 12. August 1987 konnten wir mit vier Klassen und 78 Schülern den ersten Schultag beginnen.

Bis spät in die Nacht hatten noch viele fleißige Mütter und Väter Lampen montiert, Tische aus Nachbarschulen geholt und geschrubbt und für einen feierlichen Eindruck mit Blumen und Tüchern gesorgt, so dass wir dann in der Eingangshalle vor dem Eurythmiesaal eine kleine Feier mit Ansprachen von Herrn Prahl aus Kiel und den Klassenlehrern durchführen konnten. Den Eurythmiesaal gab es nur in Ansätzen. Der Betonsturz war kurz vorher erst geschüttet worden und musste noch sechs Wochen trocknen, bis der weitere Ausbau erfolgen konnte. Das Dach darüber fehlte noch vollends. Das war alles nicht so schlimm. Wir hatten wenigstens alle ein Klassenzimmer, zwar noch ohne Heizung, was im aufkommenden Herbst mit seinen kühlen Nächten morgens empfindlich zu spüren war. Dagegen half aber ein starker „rhythmischer Teil“ im Hauptunterricht.

Die eigentliche Einweihung der Schule erfolgte 28. November 1987 mit einer großen Feier im alten Stadttheater, zu der alles, was Rang und Namen hatte, erschienen war und dem Anlass einen würdigen Rahmen gab.

Am Ende unseres ersten Schultages versammelten sich die Schüler, Lehrer und Eltern auf dem Schulhof, um als Sinnbild für das Wachsen einer immer größer werdenden Gemeinschaft gemeinsam einen Ahornbaum zu pflanzen, der heute, inzwischen von den kommenden dritten Klassen mit einer Ziegelsteinmauer eingerahmt, den Mittelpunkt auf dem Unterstufenschulhof bildet.

Von Jahr zu Jahr kam eine weitere erste Klasse hinzu. 1988 war Frau Ingenfeld die Erstklasslehrerin. Dies bedeutete, dass wir nicht nur jedes Jahr einen neuen Klassenraum benötigten, sondern auch Fachräume. Der Eurythmieraum war inzwischen fertig und diente als Festsaal mit einem ihm heute noch eigenen Charme. Unzählige Versammlungen, Feiern und Vortragsveranstaltungen fanden in ihm statt. Und wir waren sehr dankbar, dass wir ihn hatten.

Der Kählerhof war vom Bauernhof in ein Mehrzweckgebäude durch viel Elternhilfe umgebaut worden. Dort befanden sich anfangs eine kleine Küche und ein Konferenzzimmer (im ehemaligen Wohnzimmer der Familie Kähler). Außerdem hatte Herr Wilske in dem hinteren Teil sein vorübergehendes Domizil aufgeschlagen. Bald aber war klar, dass der Kählerhof erneut umgebaut werden musste, um neuen Klassenraum zu schaffen. So entstanden die beiden Werkräume, die zunächst aber für die Klassen 7 und 8 als Klassenräume eingerichtet wurden. (Die beiden Tafeln deuten heute noch auf ihren ursprünglichen Charakter hin.) Das Werken fand im ehemaligen Kälberstall statt, der notdürftig eingerichtet war. Auf zwei geliehenen Werkbänken aus Glückstadt entstanden viele schöne Werkstücke. Die Verwaltung war in dem kleinen Besprechungszimmer/Förderraum gegenüber der heutigen 2. Klasse untergebracht. Die damalige Frau Seidl und bald darauf Frau Kratschmer kamen den vielen Wünschen von Schülern, Eltern und Lehrern mit großer Geduld und Einsatzfreude nach.

Aus Kellinghusen hatten wir eine Baracke kostenlos erstanden, in der die ABM-Kräfte ihren Unterschlupf fanden. Nachdem diese Maßnahme ausgelaufen war, fand hier der Gartenbau unter Herrn Steinbrück, der im Sommer 1989 zu uns kam, sein neues Zuhause. Zuvor jedoch säte die damalige 3. Klasse in ihrer Feldbauepoche Weizen auf dem weitläufigen Gelände und machte reiche Ernte und daraus köstliches Brot. Ebenso wurden Kartoffeln angepflanzt und in einer grandiosen Verkaufsaktion zur Aufbesserung der Schulfinanzen samstags (damals war selbstverständlich am Samstag noch Schule!) den Eltern verkauft.

Gegenüber heutigen Verhältnissen hatte unser damaliges Schulgelände „ungeheure“ Ausmaße. Der Schulhof schien grenzenlos zu sein und bot in den Pausen ungeahnte Möglichkeiten des Ball- und Versteckspiels und vieler anderer Betätigungen. Der Sportunterricht hatte ja noch keine Halle zur Verfügung und fand daher oft im Freien statt. Frau Brockmann war 1989 unsere erste Sportlehrerin, bevor Herr Teichert als Elternvater dann hauptamtlich 1991 in unsere Dienste eintrat und diesen Fachbereich weiter ausbaute. Die Hauptschule mit ihrer Turnhalle gewährte uns bis zum Jahr 1995 Unterschlupf, bis nämlich das Haus Bothmer mit der Gymnastikhalle fertig war und uns unabhängig von anderen Stundenplänen machte.

Weiter aber wuchs die Schule und damit ihr unerbittlicher Bedarf an Räumen. Die Klassen wurden größer und damit auch die Notwendigkeit, sie zu teilen. In diese ganze Raumnot hinein kam die Trennung von unserem bisherigen Architekten. Nun, im Jahre 1990, entstand unter Einsatz fachkundiger Eltern ein Plan und die Errichtung des heutigen Anbaus, in dem jetzt das Bistro und die Handarbeitsräume untergebracht sind. Dies konnte aber nicht über Nacht geschehen. Also machten wir inzwischen im Eurythmieraum unseren Hauptunterricht mit Malbrettern auf den Knien als Schreibunterlage. Eines Tages aber wollten zwei Klassen zur selben Zeit den Raum benutzen. Also, flexibel wie wir damals noch waren, machte die eine Klasse kurzerhand einen Ernteeinsatz auf einem Bauernhof. Danach war der Anbau bezugsfertig. Zunächst dienten die Räume als Klassen- und Fachräume für die Mittelstufe, bis das Haus Curie mit dem Beginn der Oberstufe erbaut werden konnte (1993).

Im Jahre 1988 kamen Herr Stark und ein Jahr später Herr Blumenthal zu uns, um das Kollegium als Klassenlehrer zu verstärken. Herr Stark löste Frau Ruthel, die sich neuen Zielen zuwandte, in der 3. Klasse ab. Herr Blumenthal übernahm die 1. Klasse.

Eine schwere Schulkrise erschütterte 1992 die Schule und verlangte nach neuen Strukturen und anderen Verantwortlichkeiten. Ein Teil der Eltern, Schüler und Lehrer kehrten der Schule den Rücken. Die Zurückgebliebenen krempelten die Arme noch weiter auf, und es gelang, in der Schulgemeinschaft eine neue Aufbruchstimmung zu erzeugen, und die Schülerzahlen stiegen erneut an. Neue, tatkräftige Kollegen gesellten sich zu dem Kollegium. Ab jetzt verteilten sich Arbeit und Verantwortlichkeiten auf mehr Schultern, ein neuer Abschnitt in der Schulgeschichte begann.

Michael Müller