Friday for Future – oder – die Zukunft ist jetzt.
Solange Klimaerwärmung, erneuerbare Energien und Umweltverschmutzung nur als abstrakte Größen in unserem Leben auftauchen und wir nicht mit unseren eigenen Sinnen, also mit Augen, Ohren, Nase, mit Haut und Haaren die Dinge erfahren, wird sich nichts ändern.
Dieser Gedanke begleitet mich täglich auf der 11 Kilometer langen Fahrt mit dem Rad über Nebenstraßen und Felder zur Schule und zurück. Während ich im Februar Kälte, Wind und Nieselregen ausgesetzt bin und Windenergie hautnah erfahre, rauschen an mir Autos vorüber, in denen meistens nur ein Erwachsener und gelegentlich ein Kind sitzen und vielleicht darüber diskutieren, ob die Bildungsministerin in Kiel Schüler daran hindern soll, für den Umweltschutz auf die Straße zu gehen.
Ich darf nicht zu lange darüber nachdenken, denn im nächsten Augenblick rast unmittelbar neben mir die Dame im grauen BMW-SUV vorbei. Wir begegnen uns jeden Morgen zwischen Brokreihe und Herfart. Von seitlichem Mindestabstand hat sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört, und ich hoffe, dass ich trotz ihrer kühnen Fahrweise nicht eines Tages so ende, wie der Hase am Straßenrand, den ein Auto in der vergangenen Nacht überfahren hat. Für die Fahrerin bin ich offensichtlich ein Verkehrshindernis, während ihr sportlicher Fahrstil für viele Eltern ein Grund ist, ihre Kinder eben nicht mit dem Fahrrad zur Schule zu schicken.
Hinter mir höre ich schon das Kleinkraftrad knattern, das mich in wenigen Minuten mühsam überholen wird, um anschließend für einen Kilometer die Luft mit Zweitakter-Auspuffgasen zu vernebeln. Ich ziehe mir den Schal über die Nase. Das Mofa steht gleich an erster Stelle meiner persönlichen Gestank-Hitliste auf dem Weg zur Schule, dicht gefolgt von Dieselfahrzeugen und Benzinern mit historischem Kennzeichen. In der frischen Luft auf dem Weg durch die Felder fallen die Abgase einzelner Fahrzeuge besonders auf – ganz anders auf dem Weg entlang der viel befahrenen Dorf-Durchgangsstraße, die links und rechts von Einfamilienhäusern gesäumt ist.
Meine Gedanken schweifen ab zu den Politikern, die sich in ihren schweren Dienstfahrzeugen zum Büro fahren lassen, um dort über den Entzug der Gemeinnützigkeit für die Deutsche Umwelthilfe zu beraten, weil diese Städte wegen Überschreitung der europäischen Grenzwerte für Stickstoffdioxid verklagt. Wie würde ein Staatssekretär oder Minister denken, wenn er selber täglich unfreiwillig die Abgase von Dieselfahrzeugen einatmen und sich den Feinstaub auf der Zunge zergehen lassen müsste, bevor er sich in den Lungen festsetzt?
Auf dem Weg zu Schule sehe ich große Photovoltaikanlagen auf den Hallen und Ställen der Bauern. Selbst unsere Schule hat seit zwölf Jahren eine solche Anlage. Richtig aufgefallen ist sie mir erst, als sie ausgerechnet im vergangenen Jahr mit seinem Jahrhundertsommer defekt war und keinen Strom lieferte. Über Jahre hinweg war diese Anlage für mich nur eine Größe auf der Stromrechnung der Stadtwerke und auf dem Bankkonto. Erst als sie keinen Strom mehr lieferte, befasste ich mich intensiver mit ihr. Im Jahresmittel produziert diese verhältnismäßig kleine und alte Anlage immerhin 15 % unseres gesamten Strombedarfs. Während ich in den letzten Wochen immer wieder gebannt auf den Stromzähler starre und sehe, wie wir an trüben und sonnigen Tagen Energie ins Stromnetz pumpen, drängt sich mir die Frage auf, was wir tun müssten, um nahezu 100 % unseres Strombedarfs aus Photovoltaik zu erzeugen. Wie können wir Strom speichern? Wie können wir Energie sparen? Was müssten wir tun, um Elektromobilität aus Sonnenenergie zu unterstützen? Was sind die Vor- und Nachteile von Akkus und Brennstoffzellen?
Natürlich kann ich auf die Straße gehen und demonstrieren, gegen Ungerechtigkeit, gegen Hunger, gegen Umweltverschmutzung. Ich kann aber auch etwas tun – hier und jetzt – für Gerechtigkeit, für die Umwelt und für die Zukunft unserer Kinder.
Jürgen Beckmerhagen