100 Jahre Waldorfschulen – Staffelfahrt

Donnerstagmorgen. Dicke, graue Regenwolken ziehen von Norden über unser Land. Gegen Wind und Regen bahne ich mir auf meinem Rad den Weg zur Schule. Auf dem großen Pausenhof bilden bereits die Schülerinnen und Schüler der ersten bis siebten Klasse zusammen mit ihren in Regenkleidung gehüllten Lehrerinnen und Lehrern und einigen Betreuern erwartungsfroh Kreise um unsere Linde. Morgensprüche und Lieder lassen für einen Augenblick das feuchte Wetter vergessen.

Da hält ein Kind aus der ersten Klasse den Staffelstab in die Höhe, der uns tags zuvor von Schülerinnen und Schülern aus Wöhrden überbracht wurde und den wir heute gemeinsam zur Schule in Elmshorn bringen wollen. Mit einem Mal wird uns allen klar, dass wir Teil einer großen Waldorf-Bewegung sind, die diesen Stab gemeinsam quer durch Deutschland zur großen Waldorf-100-Feier im September 2019 in Berlin tragen wird. Und heute leisten wir unseren Beitrag zum Gelingen dieses Staffellaufs.

Heute ist erst der vierte reguläre Schultag unserer Erstklässler, und schon sind sie ein ebenso wichtiges Glied in unserer Staffelkette, wie die Zehntklässler, die auf halber Strecke nach Elmshorn den Staffelstab von der siebten Klasse übernehmen werden. Souverän und mit viel Freude wird der Stab an die Zweitklässler übergeben. Weiter geht es über Kremperheide, Krempe, Süderau, Elskop, Siethwende, Bullendorf zum Etappenziel an der Waldorfschule in Elmshorn.

Aus der Luft betrachtet ergießt sich eine bunte Schar fröhlicher Kinder über den Kreis Steinburg und zaubert den vielen Passanten am Wegesrand für einen Augenblick ein Lächeln ins Gesicht. Während die Schülerinnen und Schüler der Unter- und Mittelstufe den Staffellauf auch für Erkundungen im weiteren Umkreis der Schule nutzen, sitzen die Zehntklässler noch im Geschichtsunterricht und können trotz ungemütlichen Wetters den Startschuss zur Staffelfahrt kaum erwarten. Um 10:00 Uhr ist es dann soweit. Fünfzehn Schülerinnen und Schüler und zwei Betreuer stehen in gelben Waldorf-100-Shirts gekleidet mit ihren Rädern am Schultor. Ein paar Gruppenfotos, liebevolle Worte von der Klassenbetreuerin, und schon stemmen sich 34 kräftige Beine in die Pedalen und bringen den kunterbunten Verband von quietschenden Retrorädern bis hin zu federleichten Rennrädern Richtung Süden in Bewegung. Und alle müssen geschlossen zusammen bleiben. Nur wenn alle aufeinander achten können wir das Ziel Elmshorn sicher und rechtzeitig vor Schließung der Mensa erreichen. Und so rollt der gelbe Waldorf-Fahrrad-Verband durch den Kreis.

Am Hof Hochgenuss wird eine Rast eingelegt, um auf die sechste und siebte Klasse zu warten. Ein Eis für jeden, dann geht es weiter. Noch 20 Kilometer.

Pünktlich zur Mittagszeit erreichen wir die Elmshorner Schule, wo wir den Staffelstab an das freundliche Empfangskomitee weitergeben, die jeden von uns daraufhin mit einer Essensmarke belohnt. Nach einer kurzen Pause und einer spontanen Schulführung geht es auf dem direkten Weg zurück nach Itzehoe, wo uns die Kilometerzähler an unseren Rädern 62 Kilometer mehr als bei Etappenstart anzeigen. Von hier macht sich jeder auf seinen Heimweg, der oftmals nochmals 10 Kilometer und mehr lang ist.

Ein unbeschreibliches Glück überkommt alle. Das Glück, das gesteckte Ziel trotz schlechter Wetterprognose erreicht zu haben. Das Glück, das einen überfällt, wenn der Körper mal wieder richtig gefordert wurde. Das Glück, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein.

Jürgen Beckmerhagen