Waldorf 100 Feier im Tempodrom

Die zwölf Zeltmasten des schneeweißen, futuristisch anmutenden Tempodroms ragen steil in den strahlend blauen Himmel über dem Herzen Berlins. Hier kamen am vergangenen Donnerstag über 3.500 Gäste und Mitwirkende aus allen Teilen der Erde zusammen, um von morgens bis spät abends das Fest der Feste anlässlich des einhundertsten Geburtstags der Waldorfpädagogik zu feiern.

Schon vor den Eingangstoren zur großen Arena luden uns Schülerinnen und Schüler der Waldorf School Windhoek, Namibia, zum Tanz ein. Während Erwachsene aus sicherer Entfernung die fröhliche Stimmung mit ihren Smartphones festhielten, nahmen Jugendliche aus unseren Breiten den Rhythmus auf und ließen sich von der Musik treiben. Die Kinder auf der Dachterrasse beobachteten das Geschehen genau.

Es sollten auch für mich die ersten und letzten Bilder dieser Veranstaltung sein, denn es galt absolutes Fotografier- und Film-Verbot. Meine gute Kamera hatte ich ohnehin daheim vergessen und konnte mich so ganz den vielen Darbietungen mit Musik, Tanz, Eurythmie, Theater und Musical hingeben.

Nun könnte ich an dieser Stelle die zahlreichen Beiträge von Schülerinnen und Schülern aus Australien, Asien, Europa, Afrika und Amerika einzeln auflisten, kommentieren und loben, ohne dabei auch nur ansatzweise das Wesen dieser Jahrhundertveranstaltung zu beschreiben. Dieses Fest lebte vom Miteinander von Menschen, Schulen, Kindergärten und anderen pädagogischen Einrichtungen, die ihre heimischen Komfortzonen verließen, um in Berlin spontan neue Beziehungen mit Fremden und Gleichgesinnten einzugehen und so wirklich Bewegendes entstehen zu lassen.

Mitschnitt vom Vormittag „See the World“

Besonders deutlich wurde dies in den zahlreichen Eurythmie-Performances, die von verschiedenen Gruppen – Profis wie Schüler*innen – gemeinsam aufgeführt wurden. Das überwältigende Bild, in dem gefühlt an die 100 Eurythmisten aus Hamburg, Hitzacker und Flensburg in ihren seidenen Kostümen und eingetaucht in wärmendes Licht zum 2. Satz der 7. Symphony von Ludwig van Beethoven, gespielt vom Festival Symphonie-Orchester unter Leitung von Yaron Traub und dem Festival-Chor unter Leitung von Jeroen Moes, tanzten, wird niemand so schnell vergessen. Keiner der beteiligten Musiker oder Tänzer hätte alleine auch nur ansatzweise ein ähnlich schönes Kunstwerk aus Musik und Tanz schaffen können.

Mitschnitt vom Nachmittag „Change the World“

Der Einlauf der Staffelläufer, Radfahrer und Paddler aus Greifswald in das Tempodrom erinnerte mich an den Staffellauf, der vor über einem Jahr im Norden Schleswig-Holsteins seinen Anfang nahm und an dem sich auch unsere Schüler*innen beteiligten. Der Staffelstab kam nach rund 70.000 km pünktlich in Berlin an, weil alle dazu beitrugen.

Wieder wurde mir klar, dass der Wert einer Schule nicht in herausragenden Einzelleistungen und Abschlüssen von Schüler*innen und Klassen liegt, sondern darin, wie sehr wir uns für die Natur und für andere Menschen interessieren und Verbindungen mit Fremdem zulassen, auf dass Neues entstehen kann.

„Können wir uns versprechen, zusammenzuarbeiten – in jedem Kindergarten, in jeder Schule, in den Ländern, über die Grenzen der Länder hinweg, auf der Welt? Was entsteht an Kraft, wenn wir zusammenarbeiten? Können wir versprechen, Zusammenhang zu schaffen? Das ist ein aktiver Vorgang. Der hat Interesse an allem anderen zur Voraussetzung. Der hat Initiative zur Voraussetzung und ist schwierig, weil es ein Zusammenhang ist zwischen uns, der Welt, der wir das Leben verdanken, der Natur, auf der wir ruhen und auf der wir gründen, und den Wesen, die uns begleiten.“ (Nana Göbel aus ihren Leitgedanken zu Beginn der Abendveranstaltung am 19.9.2019. Nana Göbel ist seit 2008 Mitglied der internationalen Konferenz der waldorfpädagogischen Bewegung (Haager Kreis))

Inzwischen sind erste Bilder von der Veranstaltung hier verfügbar.

Jürgen Beckmerhagen