Der Koch

Rote Schirmmütze, dunkelblaue Kochbekleidung, schwarzer Vollbart, aus dem heraus leuchtende Augen und ein sympathisches Lächeln dringen. Marco Gehler, der Koch, muss sich beeilen. „Gas geben.“ Seit 6 Uhr steht er in der Küche. Brötchen, Croissants, Flammkuchen, Joghurt, Bircher Müsli. Gleich kommen die ersten Schülerinnen und Schüler. Zuvor muss noch das frische Gemüse in die Kühlung.

Während er die ersten Hähnchenbrustfilets in die Wanne mit dem heißen Fett legt und nebenbei 30 kg Kartoffeln in Spalten schneidet, erzählt er aus seinem Lebenslauf: aufgewachsen in Berlin, Lehre zum Koch in einem französischen Spitzenrestaurant, verschiedene Anstellungen als Koch, Produktionsleiter im Catering der Charité, Ausbildereignungsprüfung, Dozent bei der Jugendbildung Hamburg und Anleiter in der Küche einer Einrichtung für Jugendliche, die alle irgendetwas auf dem Kerbholz hatten. Mit ihnen kochte er ohne je nach Vergehen, Fehler, Strafe, Reue zu fragen. Gehler behandelte sie wie alle anderen Jugendlichen. Liebevoll. Wie seinesgleichen. Er hätte nie Probleme mit ihnen gehabt, außer einmal. Aber auch dieser Junge hätte sich nach drei Jahren bei ihm entschuldigt.

Marco Gehlers Lehrer ist und war das Leben. Es scheint, als könne er nicht schlecht über andere Menschen denken, weshalb er gelegentlich eher enttäuscht, aber niemals nachtragend und verbittert ist.

Im Bistro warten bereits eine Schülerin und ein Schüler der 7. Klasse. Heute ist ihr Küchen-Praktikumstag. Fester Bestandteil des Curriculums der 7. Klasse – bei uns. Gehler reicht ihnen die Spintschlüssel. Wenig später stehen sie als Küchenhilfen gekleidet samt Kopfbedeckung vor ihm. Kurze Besprechung für den heutigen Tag. Einer soll fragen, ob Hilfe bei der Ausgabe benötigt wird. „Nein“. Beide bleiben in der Küche. Zuerst sollen sie panieren. Gehler fragt nach, ob sie sich noch an den Arbeitsablauf erinnern. Er erklärt kurz, weshalb er gerne etwas Sahne zum Ei gibt. Die Panierung haftet dann besser. „Panierung, nicht Panade!“ Kochkurs ohne viele Worte. „Habt Ihr Eure Berichtshefte dabei?“

Zwischendurch ein Blick auf die Essensbestellungen. Heute werden es wahrscheinlich wieder 80 mal Fleisch und 40 mal vegetarisch. „Gas geben. Wenn wir damit durch sind, bereiten wir den morgigen Tag vor.“

So viel Gemüse wie eben möglich kommt aus dem Schulgarten. Kompost landet auf dem Komposthaufen im Garten. Und für die Schulhasen fällt auch noch etwas ab. „Essen wegschmeißen geht gar nicht.“

Mittags bildet sich eine lange Schlange vor dem Bistro. Ausgerechnet heute streikt wieder das Abrechnungssystem. Vielleicht ist die Internet-Leitung überlastet. Nebenan wird gerade Computerkunde unterrichtet. Schülerinnen, Schüler, Lehrkräfte und Angestellte warten geduldig vor der Essensausgabe und nutzen die Zeit für ein Schwätzchen. Niemand geht hungrig nach Hause oder in die nächste Unterrichtsstunde. Während die einen noch warten, stellen sich die nächsten bereits für einen Nachschlag an. „Es schmeckt super.“

Zwanzig vor zwei. Alle haben ihr Essen erhalten. Viele ruhen sich auf der Terrasse vor dem Bistro aus. Gehler macht seine Runde. Geht von Tisch zu Tisch. Fragt, ob es geschmeckt hat. Die gute Schule des französischen Restaurants lässt grüßen. Alle strahlen Gehler an. Er strahlt zurück. Für jeden ein gutes Wort.

Nachdem irgendwann auch der letzte Gast gegangen ist, steht Gehler wieder in der Küche. Abwasch. Geschirr, Besteck und Gläser von 130 Personen. Küche reinigen. „Tip Top“.

Um kurz nach drei sammelt Gehler seine beiden Söhne ein (1. und 2. Klasse). Hält noch einen letzten Schnack mit Timm, unserem Schulsozialarbeiter, und den Kolleginnen aus der Warteklasse. Ein wahrer Menschenfreund und ganz nebenbei ein fantastischer Koch.

Jürgen Beckmerhagen

Bilder: Jürgen Beckmerhagen