Jubiläum

Denke ich an Jubiläen, sehe ich Girlanden mit meist zwei- und dreistelligen vergoldeten Zahlen in ihrer Mitte. 25, 50, 100. Selten mehr. Und noch seltener 35 oder 40. Ich sehe den Bürgermeister und den Pastor, eine Blaskapelle und einen Kinderchor. Der Blick ist gerichtet auf Dinge und Menschen, die bald nur noch in Geschichten und Mythen existieren. Noch einmal wird an bessere Zeiten erinnert. Wie alles begann. Wie sich Onkel und Tante erstmals begegneten. Wie er um ihre Hand … und so weiter und so fort.

Ganz andere Bilder stehen mir beim Gedanken an die Jubiläen unserer Schule und unseres Kindergartens vor Augen. Bilder und Geschichten, in denen die Beteiligten scheinbar immer jünger werden. Bilder, auf denen zu sehen ist, wie die Falten in den Gesichtern der Beteiligten nach und nach schwinden und wie ihr Gang immer kräftiger und aufrechter wird. Ich sehe eine Schule vor mir, in der Menschen kluge Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit geben. Und ich frage mich, woran es liegt, dass diese Schule immer jünger statt älter wird.

Die Antwort, so scheint mir, liegt in den Beziehungen der Menschen untereinander. In den Beziehungen der Menschen im Kollegium. In den Beziehungen des Kollegiums mit den Eltern. In den Beziehungen der Schülerinnen und Schüler mit den Pädagogen.

Gelebte Beziehungen sind wahre Lebenselixiere. In gelebten Beziehungen gehen Menschen in Resonanz zueinander. Sie hören einander zu. Sie antworten mit eigener Stimme.

Das war 1979 so, als der Verein zur Förderung der Waldorfpädagogik in Itzehoe gegründet wurde. Das war 1982 so, als in einer Mietwohnung am Sandberg 2 der Waldorf-Kindergarten öffnete. Und das war fünf Jahre später, 1987, so, als hier am Kählerhof auf dem seit fünf Jahren brachliegenden Bauernhof die Schule entstand.

Gelebte Beziehungen, Vertrauen ineinander und viele helfende Hände haben Schule und Kindergarten entstehen und so mache Herausforderung meistern lassen.

Es ist leicht, eine Schule zu verwalten, die blüht und gedeiht. Auf den Zusammenhalt kommt es aber an, wenn es einmal nicht so läuft, wie man es sich wünscht. Wie wichtig Zusammenhalt ist, konnte ich in meiner Zeit als Geschäftsführer mehrmals erleben. Gleich zu Beginn 2013, als die Schülerzahlen in den Keller gingen, und zuletzt in der Pandemie.

Kurz vor der Pandemie, 2017 feierten wir 30 Jahre Schule und 35 Jahre Kindergarten mit einem wirklich opulenten Fest. Wir wurden von einer Woge der Begeisterung getragen. Zwei Jahre später, 2019, feierten wir 100 Jahre Waldorf-Pädagogik. Die Presse überschlug sich mit Lobeshymnen auf Waldorf. Wir taumelten geradezu trunken von Selbstverliebtheit von einer Feier zur nächsten.

Ende 2019 erfolgte der erste Spatenstich für das neue Kindergartengebäude, am 13. März 2020 die Grundsteinlegung. Der Himmel wolkenverhangen. Es nieselte. Und dann der Anruf aus Kiel: „Lockdown“. Von einer Minute zur nächsten kam das Leben in der Schule zum Stillstand. Wir alle wurden mit einer Situation konfrontiert, die so noch niemand erlebt hatte. Katerstimmung machte sich breit.

Das Leben stand still. Scheinbar. Aber nicht bei uns. Während Schülerinnen, Schüler und Pädagogen daheimblieben, nutzten unsere Hausmeister die Ruhe zur vollständigen Vernetzung der Schule. Bis zum zweiten Lockdown im Winter 2020 / 2021 waren alle Räume mit modernster Kommunikationstechnik ausgestattet. Pädagogen erhielten moderne Endgeräte und wurden in deren technischer und pädagogischer Nutzung geschult. Der Unterricht ging weiter – auch im zweiten, harten Lockdown.

Natürlich hätten auch wir uns so manches anderes gewünscht. Aber anstatt zu schimpfen und zu klagen, haben viele hier ihren praktischen Beitrag dazu geleistet, dass es unter den gegebenen Bedingungen weitergeht. Es war nie die Leistung Einzelner, sondern immer die Leistung vieler. So war es immer. Und so wird es immer wieder sein. Denn das ist Waldorf.

So feiern wir den Zusammenhalt, die Gemeinschaft, die Hoffnung, die Zukunft. Und genau das lehren wir an unserer Schule Tag für Tag.

Jürgen Beckmerhagen

Bild: Jürgen Beckmerhagen