Erklärung des Vorstands des Bundes der Freien Waldorfschulen vom 5.10.2020

Der Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS) ist der Dachverband der derzeit 252 Waldorf- und Rudolf Steiner Schulen in Deutschland. Zu seinen Aufgaben gehört die Sicherung der Aus- und Weiterbildung, eine Rechtsberatung und die überregionale Öffentlichkeitsarbeit. Er folgt dabei dem Grundsatz: Der BdFWS ist dafür da, die Erziehung zur Freiheit in der Welt aktiv zu repräsentieren und zu verteidigen und die freien Partnereinrichtungen, die sich ihm anschließen, zu befähigen, dieses Ziel praktisch zu verwirklichen.

Die durch die Corona-Pandemie bedingte tiefe Verunsicherung vieler Menschen, die widersprüchlichen Aussagen unterschiedlicher Akteure sowie uneinheitliche schulpolitische Vorgaben haben zur Folge, dass divergierende Erwartungen, Ansprüche oder Forderungen mit diesem Grundsatz verbunden werden.

Der Vorstand stellt daher die Position des Verbands wie folgt klar:

  • Der BdFWS agiert auf pädagogischem Feld und gibt keine Empfehlungen zu medizinischen Fragen. Diese sind Sache der medizinischen Fachwelt.
  • Auch Schulen in freier Trägerschaft haben dem Gesundheitsschutz dienenden Maßnahmen Folge zu leisten, seien es Gesetze, Verordnungen oder behördliche Anordnungen.
  • Waldorfschulen haben jedoch die Möglichkeit, innerhalb dieser Maßnahmen offene und dynamische Lehrpläne zu gestalten, die sich gerade in schwierigen Zeiten phantasievoll ausschöpfen lassen.
  • Im Rahmen der angebotenen Rechtsberatung klären die für den BdFWS tätigen Juristen Trägervereine und Schulleitungen über ihre Rechten und Pflichten nebst allen Konsequenzen auf, um Handlungsspielräume aufzuzeigen, die die Schulträger nutzen können.

Die teils stark polarisierte öffentliche Debatte zu der Pandemie und den Schutzmaßnahmen wird auch von Eltern und Mitarbeiter:innen der Waldorfschulen geführt. Da sich dabei vereinzelt Redner:innen öffentlich auf die Waldorfschulen bezogen haben, stellen wir fest:

  • Vereinfachende Erklärungen für die Ursache und den Umgang mit der Pandemie helfen niemandem. Im schulischen Kontext besteht vielmehr die Verantwortung, den jüngeren Schüler:innen Sicherheit zu geben und den älteren Schüler:innen differenzierte Urteilskriterien zu vermitteln.
  • Die Krise sollte zum Anlass genommen werden, die großen Herausforderungen unserer Zeit, wie Klima- und Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und einen solidarischen Umgang aller Menschen miteinander in den Blick zu nehmen – nicht zuletzt, um unsere mitteleuropäischen Probleme in ein Verhältnis dazu zu setzen.
  • Wir fordern, dass die im Rahmen der Eindämmung und Beherrschbarkeit der Pandemie nötigen Schutzmaßnahmen von einem fachlich breit aufgestellten Gremium erarbeitet werden, altersgemäß umsetzbar sind und die Begegnungs- und Bewegungsnotwendigkeiten von Kindern und Jugendlichen nicht unverhältnismäßig einschränken.
  • Wir distanzieren uns ausdrücklich von simplifizierenden, mystifizierenden, diskriminierenden sowie demokratie- und staatsfeindlichen Aussagen und verurteilen, wenn diese unter Berufung auf die Waldorfschule, die Waldorfpädagogik oder die Anthroposophie verbreitet werden.

Die Pandemie fordert jedem Menschen sehr viel ab. Der Vorstand würdigt die Bemühungen aller Beteiligten, die in Schulen und Elternhäusern mit Augenmaß die aktuelle Situation meistern müssen, um den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen einen angstfreien Lebensort zu bieten – einen Ort, der mit pädagogischer Phantasie und lebendiger Kreativität zu einem stärkenden Lernort für unsere Schüler:innen wird.

Erziehung zur Freiheit bedeutet, jungen Menschen zu ermöglichen, unvoreingenommen eigene Urteile zu fällen, die Folgen ihres Handelns abwägen zu können und das Gemeinwohl sowie die Freiheit ihrer Mitmenschen im Blick zu haben. Auf sie wird es zukünftig ankommen – die Ursachen für die gegenwärtige und sich daraus entwickelnde Situationen liegen ausschließlich in unserem Handeln. Verbauen wir den jungen Menschen nicht mit unseren Ängsten und kraftraubenden Auseinandersetzungen die Möglichkeit, sich eigene Lebensmotive und Handlungsfreiräume zu erarbeiten.

Hamburg, 5. Oktober 2020
Nele Auschra, Henning Kullak-Ublick

Erklärung des Vorstands des Bundes der Freien Waldorfschulen vom 5. Oktober 2020