Kommandant Gerst an seine Enkel

Der Astronaut Alexander Gerst zeichnete am 25. November 2018 auf der Internationalen Raumstation ISS für seine ungeborenen Enkel eine Videobotschaft auf. Die ESA überredete ihn, diese Botschaft allen Menschen zugänglich zu machen.

Manchmal sieht man die Dinge viel klarer, wenn man Abstand zu ihnen gewinnt. Ich denke, das gilt auch und besonders in diesen Tagen. Man muss ja nicht gleich 400 Kilometer über der Erde schweben. Aber lesen Sie selbst:

Liebe Enkelkinder,

ihr seid noch nicht auf der Welt und ich weiß noch nicht, ob ich euch jemals treffen werde, deshalb hab ich beschlossen, euch diese Nachricht hier aufzuzeichnen. Ich befinde mich gerade auf der internationalen Raumstation im Cupola-Aussichtsmodul und schaue auf euren wunderschönen Planeten herunter. Und obwohl ich bis jetzt schon fast ein Jahr im All verbracht habe und an jedem einzelnen Tag da runter geschaut habe, kann ich mich einfach nicht daran sattsehen. Ich weiß, es hört sich für euch vermutlich komisch an, aber zu der Zeit, als die ISS gebaut wurde und hier oben im Orbit war, konnte noch nicht jeder Mensch in den Weltraum reisen und die Erde von außen sehen. Vor mir waren es gerade mal um die 500 Menschen. Im Moment leben da unten 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Und wenn ich so auf den Planeten runterschau, dann denke ich, dass ich mich bei euch wohl leider entschuldigen muss. Im Moment sieht es so aus, als ob wir, meine Generation euch den Planeten nicht gerade im besten Zustand hinterlassen werden.

Quelle: https://www.esa.int/esatv/Videos/2018/12/Letter_to_my_grandchildren

Im Nachhinein sagen natürlich immer viele Leute, sie hätten davon nichts gewusst, aber in Wirklichkeit ist es uns Menschen schon sehr klar, dass wir im Moment den Planeten mit Kohlendioxid verpesten, dass wir das Klima zum Kippen bringen, dass wir Wälder roden, dass wir die Meere mit Müll verschmutzen, dass wir die limitierten Ressourcen viel zu schnell verbrauchen und dass wir zum Großteil sinnlose Kriege führen.

Und jeder von uns muss sich da an die eigene Nase fassen und sich überlegen, wohin das gerade führt. Ich hoffe sehr für euch, dass wir noch die Kurve kriegen und ein paar Dinge verbessern können und ich würde mir wünschen, dass wir nicht bei euch als die Generation in Erinnerung bleiben, die eure Lebensgrundlage egoistisch und rücksichtslos zerstört hat.

Ich bin mir sicher, dass ihr die Dinge sehr viel besser versteht als meine Generation und wer weiß, vielleicht lernen wir ja auch noch was dazu. Dass ein Blick von außen immer hilft. Dass dieses zerbrechliche Raumschiff Erde sehr viel kleiner ist als die allermeisten Menschen sich das vorstellen können. Wie zerbrechlich seine Biosphäre ist und wie limitiert seine Ressourcen. Dass es sich lohnt, mit seinen Nachbarn gut auszukommen. Dass Träume wertvoller sind als Geld. Und dass man ihnen eine Chance geben muss. Dass Jungen und Mädchen Dinge genauso gut können, aber dass doch jeder von euch eine Sache hat, die er besser kann als alle anderen. Dass die einfachen Erklärungen oft die falschen sind und dass die eigene Sichtweise immer unvollständig ist. Dass die Zukunft wichtiger ist als die Vergangenheit und dass man niemals ganz erwachsen werden soll. Dass Gelegenheiten immer nur einmal kommen. Und dass man für Dinge, die es wert sind, auch mal ein Risiko eingehen muss. Dass ein Tag, an dem man was Neues entdeckt hat, über seinen Horizont hinaus geschaut hat, ein guter Tag ist.

Ich wünschte mir, ich könnte durch eure Augen in die Zukunft schauen – in eure Welt und wie ihr sie seht. Das geht leider nicht und deswegen ist das Einzige, was mir bleibt, zu versuchen, eure Zukunft möglich zu machen. Und zwar die Beste, die ich mir vorstellen kann.

Internationale Raumstation, Kommandant der Expedition 57,
Alexander Gerst, 25. November 2018, 400 Kilometer über der Erdoberfläche

Bild: „Expedition 57 Commander Alexander Gerst of ESA (European Space Agency) peers out the International Space Station’s ‚window to the world'“ by NASA Johnson is licensed under CC BY-NC-ND 2.0